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Agrarforschung
Pilz-Baum-Interaktionen in Sturmwurfflächen und stehenden Nachbarbeständen

Universität Tübingen, Botanisches Institut, Spezielle Botanik/Mykologie
A. Honold, K.-H. Rexer, F. Oberwinkler                                      
1992 - 1995

Problemstellung

Die Stürme des Frühjahres 1990, insbesondere "Vivien" und "Wiebke", verursachten in ganz Mitteleuropa immense Schäden. Betroffen waren in erster Linie Fichtenforste. Ein Teil der entstandenen Sturmwurfflächen wurden in Baden-Württemberg als Bannwälder ausgewiesen und der Forschung zur Verfügung gestellt. Im Mittelpunkt der auf diesen Flächen durchgeführten Untersuchungen stehen Sukzessionsprozesse im Waldökosystem. Eine ganze Reihe von Instituten und Institutionen unterschiedlicher Fachrichtungen konnten für ein Verbundprojekt gewonnen werden. Ziel dieses Projektes war es, das Zusammenspiel der an der Wiederbewaldung beteiligten Organismen zu verstehen und kausale Zusammenhänge zu erfassen, um mit dieser Kenntnis Hilfestellung für einen naturnahen, standortsgerechten Waldbau leisten zu können.

Pilze spielen bei Sukzessionsprozessen im Waldökosystem eine Schlüsselrolle. Sie sind verantwortlich für das Recycling der wertvollen Nährstoffe aus dem Totholz. Sie bauen die anfallende Streu ab und sind so involviert in die bodenbildenden Prozesse. Der Jungwuchs der Gehölze wird von Pilzen bei ihrem Überlebenskampf unterstützt. Sämling und Pilz gehen eine enge Symbiose ein, ohne die der Sämling nicht konkurrenzfähig wäre.

Ziel

Den vielfältigen Einfluß der Pilze auf die einsetzende Sukzession zu studieren und daraus für den Forst praxisrelevante Aussagen abzuleiten, war die Intension der Arbeitsgruppe der Mykologen.

Untersuchungsmethode

Die Zusammensetzung der in die Sukzessionsprozesse involvierten Pilzgesellschaften wurde auf Dauerbeobachtungsflächen untersucht. Neben dem Artenspektrum wurden Dominanzstrukturen, Standortsansprüche und Besiedelungsstrategien analysiert. Ein Schwerpunkt der Untersuchungen galt parasitischen Arten. Belassene Sturmwurfflächen, geräumte Flächen und benachbarte, lebende Bestände wurden in die Untersuchungen einbezogen, um Bewirtschaftungsformen vergleichen und die Ausgangssituation beurteilen zu können.

Ergebnis

Im Untersuchungszeitraum wurden auf den 11 Dauerbeobachtungsflächen insgesamt 645 Pilzarten nachgewiesen. Darunter waren 25 Arten der Roten Listen Baden-Württembergs bzw. Deutschlands. Die belassenen Sturmwurfflächen wiesen die meisten (15 Arten), die geräumten Sturmwurfflächen die wenigsten (5 Arten) Rote-Liste-Arten auf. Die weitaus größte Anzahl von Arten wurde auf den belassenen Sturmwurfflächen gefunden, die geringsten Artenzahlen wiesen die geräumten Sturmwurfflächen auf.

Streuzersetzende Pilze

Insgesamt wurden auf den Dauerbeobachtungsflächen 153 fruchtkörperbildende, streuzersetzende Pilzarten nachgewiesen.

Fichtenzapfen gehören zu den langlebigsten Bestandteilen der Fichtenwaldstreu. Nur wenige Spezialisten können dieses Substrat abbauen. Zu diesen Arten gehört Strobilurus esculentus. Diese Art besiedelt ausschließlich Fichtenzapfen, auch wenn diese bereits in tiefere Lagen der Streu oder des Humus eingearbeitet sind. Sie fruktifiziert regelmäßig jedes Jahr bis die besiedelten Zapfen gänzlich abgebaut sind. Mit dem Verschwinden dieser Art auf den Sturmwurfflächen wird angezeigt, daß alle aus dem ursprünglichen Bestand stammende Streu abgebaut ist. Strobilurus esculentus hat sich damit als eine hervorragend geeignete Bioindikator-Art für den Status des Streuabbaus erwiesen. Weitere Arten, die sich als Bioindikatoren eigneten, waren Clitocybe vibecina und Clitocybe clavipes.

Mykorrhizapilze

Insgesamt wurden auf den Untersuchungsflächen 93 Mykorrhizapilzarten nachgewiesen, davon traten 51 Arten in Verbindung mit dem aufkommenden Jungwuchs auf. An Fichtensämlingen konnten 21 Mykorrhizatypen differenziert werden. Die Mykorrhizapilzflora der stehenden Bestände erwies sich als wesentlich artenreicher als die der Sturmwurfflächen.

Bei den untersuchten 437 Sämlingen traten im stehenden Bestand eine größere Vielfalt an Mykorrhizapilzen an den Feinwurzeln der Fichtensämlinge auf, als auf den Sturmwurfflächen. Auf den geräumten Sturmwurfflächen traten die wenigsten Mykorrhizaformen auf.

Holzabbauende Pilze

Den 46 Arten, die aus lebenden Fichten isoliert werden konnten, stehen 78 Arten aus Fichtentotholz gegenüber. 97 Arten bildeten innerhalb der ersten fünf Jahre der Sukzession auf dem Fichtentotholz Fruchtkörper aus. Davon konnten 21 Arten auch als Mycelien im Totholz nachgewiesen werden. 57 Arten konnten ausschließlich über ihre im Holz aktiven Mycelien erfaßt werden. Es konnte eine Einteilung dieser Arten in 6 Gruppen vorgenommen werden, die unterschiedliche Strategien der Totholzbesiedelung repräsentieren.

Konsequenzen für die Praxis

Rückzugsraum für bedrohte Arten:

Für eine naturnahe Waldwirtschaft sollten struktur- und artenreiche Bestände angestrebt werden. Dazu können belassene Sturmwurfflächen einen entscheidenen Beitrag leisten. Auf belassenen Sturmwurfflächen ist die Artendiversität der Pilze schon in der Frühphase der Sukzession sehr hoch. Das verbleibende Totholz stellt gerade für Pilze einen wichtigen Rückzugsraum für in ihrem Bestand bedrohte Arten dar. Geräumte Sturmwurfflächen sind dagegen in ihrem Artenbestand deutlich verarmt.

Bioindikatoren:

Die Kenntnis der Standortansprüche streuabbauender Basidiomyceten erlaubt es, auf die geoökologischen Parameter der oberen Bodenschichten zu schließen. Ihre Substratspezifität ermöglicht es zudem auf die Zusammensetzung der Streu und damit die Herkunft der organischen Masse des Oberbodens Rückschlüsse zu ziehen. Als Teil der Artengemeinschaft, die die Umsetzungen beim Abbau der Streu bewirkt, reagieren sie unmittelbar auf Veränderungen der Standortsparameter. Streuabbauende Basidiomyceten sind also hervorragend geeignete Bioindikatororganismen.

Erhaltung des Jungwuchses:

Die Vielfalt der Mykorrhizapilze eines intakten Waldbestandes geht durch das Absterben bzw. die flächenhafte Entnahme der Altbäume weitgehend verloren. Lediglich Arten mit Überdauerungsstrukturen wie Sklerotien oder mit ausgeprägten saprophytischen Fähigkeiten können unter diesen Bedingungen weiterexistieren. Diese Arten sind besonders für die Vormykorrhizierung von Pflanzschulmaterial geeignet. Die Mykorrhizierung der aufkommenden Sämlinge und Jungbäume ist im wesentlichen vom aktuellen Bestand an Mykorrhizapilzen in der unmittelbaren Umgebung abhängig. Im geschlossenen Bestand ist deren Mykorrhizierung daher rasch und mit diversen, den standörtlichen Gegebenheiten angepaßten Pilzpartnern gewährleistet. Unter Schirm aufgelaufene Jungbäume behalten diese Symbiosepartner und stellen damit extrem wichtige Ressourcen für die Mykorrhizierung neu aufkommender Sämlinge bzw. ausgepflanzter Setzlinge dar. Bei der Räumung von Sturmwurfflächen bzw. der flächenhaften Entnahme von Bäumen ist daher besonders auf den Erhalt dieses Jungwuchses zu achten.

Parasitische Pilze:

Das Totholz belassener Sturmwurfflächen bietet zahlreichen, inzwischen selten gewordenen Arten eine Überlebenschance. Unter den holzabbauenden Pilzen befinden sich jedoch einige Parasiten, die den lebenden Bäumen der Nachbarbestände gefährlich werden können. Die während der ersten 5 Jahre aufgetretenen, parasitischen Pilze verhielten sich sehr unterschiedlich. Während einige Arten im Totholz nicht konkurrenzfähig waren und rasch verschwanden, konnten andere Arten großflächige Fruchtkörper ausbilden. Sterum sanguinolentum (Blutender Schichtpilz) stellt keine Gefahr für die Nachbarbestände dar, vorausgesetzt, in den ersten Jahren nach dem Sturmereignis wird nicht durchforstet und damit für den Wundparasiten Angriffsflächen geschaffen. Eine große Bedrohung geht mit Sicherheit von Heterobasidion annosum (Wurzelschwamm) aus, der 5 Jahre nach dem Sturmereignis in größerem Umfang zu fruktifizieren beginnt. Die Populationsdynamik und Epidemiologie dieser Art sind Themen weiterer Untersuchungen, für die die Sturmwurffläche bei Bad Waldsee ideale Voraussetzungen bietet.

Totholzabbau:

Eine Beschleunigung des Abbaus des Totholzes und damit des Recyclings der Nährstoffe, könnte durch das Ausbringen einer Sporensuspension rein saprophytisch lebender Arten, die im Rahmen des Projektes aus dem Totholz isoliert werden konnten, erreicht werden. Da sich unter diesen Arten auch einige Antagonisten der wichtigsten Pathogene befinden, könnten diese zurückgedrängt werden. Ein solcher Ansatz bedarf jedoch einer experimentellen Überprüfung.

Literatur:
  • Eberhardt, U. (1995): Zur (Erst-)Mykorrhizierung von Fichtensämlingen (Picea abies (L.) Karst. und Picea sitchensis (Bong.) Carr.) im Topfexperiment und im Freiland. Diplomarbeit Tübingen.
  • Honold, A., Rexer, K.-H. & Oberwinkler, F. (1994): Pilz-Baum-Interaktionen in Sturmwurfflächen und stehenden Nachbarbeständen. - Veröff. PAÖ 8: 401-414.
  • Honold, A., Rexer K.-H. & F. Oberwinkler (1996): Pilz-Baum-Interaktionen in Sturmwurfflächen und stehenden Nachbarbeständen. Veröff. PAÖ 16, 341-355.
  • Nepomuceno, O. (1993): Studium zur Biologie von Armillaria-Arten auf den Sturmwurfflächen. Diplomarbeit Tübingen.
  • Pfeffer, C. (1993): Zum Verhalten von Stereum sanguinolentum (Alb. & Schw.:Fr.) Diplomarbeit Tübingen.
  • Rexer, K.-H., Honold, A. Oberwinkler, F. (1995): Pilz-Baum-Interaktionen in Sturmwurfflächen und stehenden Nachbarbeständen. Veröff. PAÖ 12: 117-129.
  • Abschlußbericht an das MLR vom 01.11.1996

Fördernde Institution:MLR

Förderkennzeichen:    55 - 92 . 2


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